Politische Auseinandersetzungen und Machtkämpfe
Seit 2005 sieht sich die Regierung Déby einer immer stärker werdenden Oppositon auch aus den inneren Reihen der Macht ausgesetzt. Öffentliche Streiks wegen geringer Bezahlung ,Lohnkürzungen und enormer Preissteigerungen im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise oder lang ausbleibenden Lohn- und Rentenzahlungen häuften sich auch 2018 wieder. Diese weiteten sich zum Generalstreik aus, der zur Folge hatte, dass dutzende Demonstrierende verhaftet wurden und der Innenminister zehn Oppositionsparteien verbieten ließ. Gewerkschaften versuchten im März 2018 eine Einigung zu erzielen und unterzeichneten einen ‹Accord Transitoire› mit dem Präsidenten. Die nun schon über 10 Jahre anhaltende Flüchtlingssituation in Darfur und Osttschad sowie der Konflikt um die Verwendung der Erdöleinnahmen verschärfen viele Auseinandersetzungen.
Die Regierung des Tschad hatte den Vertrag über die Finanzierung eines Zukunftsfonds aus den Einnahmen der Ölförderung aufgekündigt, um die Mittel zur Bewältigung der gegenwärtigen Krisenherde einzusetzen, weswegen die Weltbank die Gelder auf einem Treuhandkonto in London eingefroren hatte. Im September 2008 hat sich die Weltbank dann ganz aus dem Projekt zurückgezogen.
Die außerparlamentarische und bewaffnete Opposition mit ihren wechselnden Allianzen sorgte, wie schon 2000 die MDJT unter Youssouf Tougouimi, durch militärische Herausforderung der Zentralregierung immer wieder für politische Unruhen.
Die sich verstärkt aus dem Clan der Zaghawar formierte Opposition aus fahnenflüchtigen Militärs und Rebellengruppen im Osten des Tschad hatte bereits im Jahr 2005 zu einer ersten übergreifenden Allianz, der «Socle pour le changement, unité nationale et démocratie» (SCUD), geführt, die damals Spekulationen über ein Ende der Ära Déby Nahrung gab.
Am 13. August 2007 hatte sich ein Teil der parlamentarischen Opposition als Allianz des CPDC (Coalition des partis pour la défense de la Constitution) zu einem von der EU vermittelten Abkommen mit der Regierung zusammengesetzt, das die Wahlgesetzgebung neu regeln und Richtlinien für eine innere Demokratisierung erarbeiten sollte. Zudem wurden dort die Weichen für die Parlamentswahlen 2011 gestellt.
Fokussiert auf die Krisen im Osten und Süden mit dem Sudan wurde der Nordwesten des Landes stark vernachlässigt. Trotz der Spannungen zwischen Pastoralisten und Bauern und der Versuche terroristischer Gruppierungen wie Boko Haram und Al Kaida (Operation Barkhane) ihre Einflussgebiete hier auszudehnen, unternimmt die Regierung erst seit kurzem Schritte diesen potenziellen ‹hot spot› im Land zu entschärfen.
Die politische Partizipation durch die Zivilgesellschaft im Tschad hat sich in Organisationen zu Demokratie und Governance in den letzten Jahren, trotz der zahlreichen Repressalien, weiter entwickelt.
Jüngere Krisen und Konflikte
2007 und 2008 haben sich die militärischen Auseinandersetzungen weiter verschärft und eskalierten in einer großen Rebellenoffensive am 2. und 3. Februar 2008, in der die Hauptstadt N’Djaména kurzzeitig eingenommen wurde. Durch die Unterstützung französischer Truppen konnte sich das Regime Déby einmal mehr an der Macht halten. Die chaotische Situation während und nach den Kämpfen nutzte das Regime für sich, um willkürliche Verhaftungen von Oppositionspolitikern und Menschenrechtsaktivisten vorzunehmen. Zehntausende flüchteten nach den Kämpfen in N’Djaména in das nahegelegene Kousseri nach Kamerun, wo sie behelfsmäßig in Notunterkünften untergebracht wurden.
Die Instabilität des Landes nahm zu, trotz verschiedener zwischen Déby und dem sudanesischen Präsidenten al-Bashir geschlossener Friedensabkommen. Das letzte Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen der beiden Staaten und zur Grenzsicherung wurde am 15. Januar 2010 geschlossen. Die meisten dieser Abkommen aus dieser Zeit waren jedoch nicht von langer Dauer.
Ende März 2008 hatten sich die damals bedeutendsten Rebellengruppen (UFDD, RaFD und FUC), die bei dem Sturm auf N’Djaména beteiligt waren, zu einer großen Allianz zusammengeschlossen und im Juni 2008 einen erneuten Vorstoß Richtung Hauptstadt versucht, der jedoch von Regierungstruppen abgewendet werden konnte. Auch 2009 und 2010 gab es immer wieder Kampfhandlungen und bewaffnete Vorstöße der Rebellen in Richtung N’Djaména.
Diese Konflikte zwischen Regierungstruppen und Rebellen rissen vor allem im Osten und Norden des Landes nicht ab, so dass einige Hilfsorganisationen temporär oder auch gänzlich das Einsatzgebiet verlassen mussten, da die Sicherheit der Mitarbeiter nicht mehr gewährleistet werden konnte.
Ab Januar 2009 bestand eine weitere Allianz (UFR) aus neun verschiedenen Rebellengruppen unter Timan Erdimi, die sich im April 2009 verstärkt Gefechte mit der tschadischen Armee im Osten des Landes lieferten. Am 25. Juli 2009 wurde in Tripolis ein vielversprechendes Friedensabkommen mit dem Mouvement National, einer Koalition von drei Rebellengruppen geschlossen.
Die ANCD (l’Alliance nationale pour le changement démocratique) ist eine neuere Rebellenallianz, die sich im Mai 2010 formiert hatte und auch die Absetzung des Regimes Déby anstrebte. Die Allianz setzte sich aus vier Gruppierungen zusammen, der CDR (Conseil démocratique révolutionnaire), der FSR (Front pour lesalut de la République), dem MDRT (Mouvement démocratique de rénovation tchadienne) und der UFDD (Union des forces pour la démocratie et le développement) unter Mahamat Nouri.
Die meisten der Rebellengruppierungen agierten vom Territorium des Sudan aus. Da sie jedoch durch interne Machtquerelen zu keinen tragfähigen Koalitionen finden, ist ihre Schlagkraft begrenzt.
Nach den Friedensbemühungen der beiden Länder und dem unbehelligten Besuch von al-Bashir im Tschad im Juli 2010 (obwohl Haftbefehle wegen Völkermords gegen diesen vorliegen), mussten wichtige Rebellenführer das Territorium des Sudan verlassen.
Seitdem hat sich die Situation etwas stabilisiert, wobei sich aber im März 2013 der Rebellenführer der UFR, Timan Erdimi aus seinem Exil in Doha mit dem Hinweis zurückgemeldet hatte, dass bis zum heutigen Tag der zugesagte nationale Dialog nicht stattgefunden hätte und er deshalb seinen Kampf gegen Idriss Déby wieder aufnehmen wolle. Der Zeitpunkt sei günstig, da sich ein großer Teil der tschadischen Armee im Kampf gegen die Islamisten in Mali befinde.
Am 1. Mai 2013 wurde in N’Djaména ein angeblich von langer Hand vorbereiteter Putschversuch gegen die Regierung Déby vereitelt, bei dem mindestens 3 Personen getötet und u.a. zwei ranghohe Generäle verhaftet wurden.
Seit August 2018 gibt es in der unwegsamen, nördlichen Tibestiregion, in der Nähe der Goldgräberregion im Département Miski erhebliche Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen der tschadischen Armee und der Rebellenbewegung CCMSR (Conseil de commandement militaire pour le salut de la République) sowie illegalen Goldsuchern. Die Spannungen sollen ihren Ursprung u.a. in der neuen Verwaltungsaufteilung der Region BET haben. Seit Ende August 2018 geht die tschadische Armee dort massiv gegen tschadische Rebellen im libyschen Grenzgebiet und Goldgräber vor.
Auch im östlichen Teil des Tschad, in der Region rund um Abéché, nehmen die Spannungen zwischen arabischstämmigen und nicht-arabischen Gruppierungen seit 2019 enorm zu. Die Konflikte betreffen vor allem Landstreitigkeiten und Auseinandersetzungen zwischen der chefferies traditionelles und den lokalen Verwaltungsautoritäten.
Als Antwort auf den Einsatz tschadischer Truppen gegen Boko Haram in Nigeria kam es seit dem Frühjahr 2015 vermehrt zu Selbstmordattentaten auf dem Staatsgebiet des Tschad. Dabei kamen insgesamt schon Dutzende Menschen ums Leben und über hundert wurden verletzt. Im März 2020 wurden bei dem bisher größten Angriff einer Splittergruppe von Boko Haram, der JAS, am Tschadsee 100 tschadische Soldaten getötet und 50 verletzt. Zudem erhöhte sich in den letzten Monaten die Zahl der Binnenvertriebenen in der Tschadseeregion enorm.
Dazu kommen große Flüchtlingsbewegungen aus Nigeria in den Tschad.
Menschenrechte
Menschenrechte spielen in der kritischen einheimischen Berichterstattung eine wichtige Rolle. Es haben sich bereits mehrere couragierte einheimische Menschenrechtsorganisationen gebildet, darunter die ATPDH (Association tchadienne pour la promotion et la défense des droits de l’Homme) der Aktivistin Jacqueline Moudeina. Im September 2011 erhielt Moudeina den Alternativen Nobelpreis für ihre Menschenrechtsarbeit.
Amnesty International dokumentiert in seinem Jahresbericht 2017/18 u.a. verschiedene Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Verhaftungen, Misshandlungen, Zwangsrekrutierungen sowie Vergewaltigungen.
Nachdem zwischen 1991 und 2003 der Vollzug der Todesstrafe ausgesetzt war, wurden 2003 wieder Hinrichtungen durchgeführt. Daraufhin wurden in den letzten 10 Jahren mindestens 10 Todesurteile vollstreckt. Im Jahr 2014 hat der Tschad dann ein internationales Abkommen zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe ratifiziert. Die Strafen von zum Tode verurteilten wurden in lebenslange Haftstrafen abgeändert.
Wegen der zunehmenden terroristischen Anschläge von Boko Haram wurde im Jahr 2015 jedoch die Todesstrafe im neuen Antiterrorgesetz für die Beteiligung an terroristischen Anschlägen wieder eingeführt.
Ein zentrales Problem besteht darin, dass Straftäter sehr häufig gerichtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden (Impunité). Oft sind Angehörige von Sicherheitskräften in die Straftaten involviert, wie auch bei den Zwangsräumungen und Zerstörungen von Häusern in N’Djaména, die nach den Rebellenangriffen im Februar 2008 immense Ausmaße angenommen hatten.
Besonderer Form von Gewalt sind vor allem Frauen auch in den Flüchtlingsgebieten ausgesetzt, da sexuelle Gewalt als Kriegsstrategie eingesetzt wird. Das Thema Gewalt gegen Frauen ist seit der Vergewaltigung der 17jährigen Zouhoura Mitte Februar 2016 durch Söhne hochrangiger Militärs und Minister in der Öffentlichkeit sehr präsent. Der Vergewaltigungsfall wurde begleitet von Demonstrationen und Ausschreitungen und einem landesweiten Streik.
Am 30. Mai 2016 wurde nach jahrzehntelangen Untersuchungen der ehemalige Präsident des Tschad Hissène Habré zu lebenslanger Haft verurteilt und die verbliebenen Opfer sollen Entschädigungszahlungen erhalten, die jedoch im Sommer 2020 immer noch nicht ausgezahlt wurden. Im April 2017 scheiterte er an einem Berufungsverfahren.
Die Untersuchungen zu den Menschenrechtsverletzungen unter der Herrschaft von Ex-Präsident Hissène Habré, der auch der ‹Pinochet von Afrika‹ genannt wird, wurden in Belgien, im Tschad und im Senegal durchgeführt (siehe auch Chronologie).
Auf Bitten der AU sollte Senegal – wo sich Habré die letzten Jahrzehnte im Exil befand – die Führung des Gerichtsverfahrens gegen Habré übernehmen, wobei es immer wieder zu Verzögerungen kam, die von Belgien und vielen Menschenrechtsgruppierungen scharf kritisiert wurde. Nach monatelangen Vorbereitungen und der Einrichtung eines Sondertribunals wurden die offiziellen Untersuchungen für den Prozess im Senegal gegen Habré begonnen und der Exdiktator am 30. Juni 2013 dort verhaftet. Der Tschad beteiligte sich an den Kosten von 7,4 Mio. Dollar mit drei Mio. Dollar. Am 20.7. 2015 wurde dann schließlich der Prozess gegen Habré eröffnet, aber nochmals auf September vertagt, um den Pflichtverteidigern Zeit für die Einarbeitung zu geben. Vom 8.-12. Februar 2016 wurden die Plädoyers gehört und am 30.5.2016 das Urteil verkündet.
Nach der Rebellenoffensive Anfang Februar 2008 kam es vermehrt zu willkürlichen Verhaftungen und Bedrohungen von Oppositionellen, Regimekritikern und Menschenrechtsaktivisten durch die Regierung. Der Oppositionelle Ibni Oumar Mahamat Saleh ist bis heute verschwunden und nach Aussage des Oppositionspolitikers der FAR (Fédération action pour la république), Yorongar, vermutlich tot.
Gewerkschaften und ihre Vertreter geraten immer wieder unter hohen Druck in ihrer Arbeit und sehen sich Einschüchterungen und Verfolgung ausgesetzt. Streiks sind häufig und erreichten im Sommer 2016 ihren Höhepunkt. Angehörige des öffentlichen Dienstes und auch andere Beschäftigte streikten 2017, 2018 und auch Anfang 2020 wieder wochenlang wegen schlechter Arbeitsbedingungen, gekürzter oder ausgesetzter Gehälter.
Kindersoldaten und Kinderarbeit sind im Tschad sehr verbreitet. Vor allem in den Jahren 2006 und 2007 stieg die Zahl der Kinder, die von der tschadischen Armee und anderen bewaffneten Gruppen rekrutiert wurden, v.a. im Osttschad enorm an. Trotz einer internationalen Vereinbarung mit der Regierung zur Demobilisierung der Kindersoldaten stehen schätzungsweise immer noch bis zu 10.000 Kinder unter Waffen. Eine regionale Konferenz zu diesem Thema fand Anfang Juni 2010 in N’Djaména statt, in der die Beendigung der Rekrutierung von Kindersoldaten von den Unterzeichnenden (darunter auch der Tschad) erklärt wurde. Verletzungen dieser Vereinbarung werden jedoch wiederholt festgestellt.
Korruption
Der Tschad wurde von Transparency International im Jahr 2005 als korruptestes Land bewertet, seither haben sich die Einschätzungen etwas verbessert (2010: Rang 171 von 178 untersuchten Staaten, 2014: Rang 154 von 174, 2015: Rang 147 von 167). 2018 belegte der Tschad den Rang 165 von 180 bewerteten Staaten und im neuen Bericht für 2019 den 162. Platz.
Korruption, Schmiergelder und Vetternwirtschaft sind auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen an der Tagesordnung und gelten als strukturelles Problem.
Außenpolitische Themen
Die Außenpolitik des Tschad mit Präsident Déby an der Spitze und als Außenminister Amine Abba Sidick zunehmend regional bedeutsamer. Bis Ende 2017 hatte das Land die Präsidentschaft der G5- Sahel inne und Ende Januar 2017 wurde Moussa Faki Mahamat von den Staatschefs der AU zum neuen Kommissionsvorsitzenden gewählt. Das politische Gewicht und der Einfluss des Landes ist durch diese Ämter in der Region weiter deutlich gestiegen. Mit der Beteiligung des Tschad an der Antiterroroperation Barkhane und der Bekämpfung von Boko Haram über die Staatsgrenzen hinaus, wird das Land in der Sahelregion trotz der repressiven Politik Débys als Garant für Stabilität und Sicherheit gehandelt.
Konfliktherd Darfur
Auch nach nunmehr achtzehn Jahren scheint laut UN im Darfur-Konflikt in der Grenzregion zum Sudan keine politische Lösung in Sicht zu sein. Seit 2003 hat sich der Konflikt über die Grenze in den Tschad ausgeweitet und seit geraumer Zeit auch die Zentralafrikanische Republik ergriffen. Aufgrund des grenzüberschreitenden Konflikts und der daraus resultierenden Flüchtlingskrise haben sich im Tschad auch interkommunale Auseinandersetzungen zwischen Viehhaltern und Ackerbauern um die überstrapazierten Ressourcen verschärft. Aufgrund der schwierigen Sicherheitslage haben viele Hilfsorganisationen ihr Personal stark reduziert oder sich ganz zurückgezogen, wodurch die Versorgung der Flüchtlinge weiter gefährdet ist. Allein 2009 wurden über 50 Überfälle auf Mitarbeiter von Hilfsorganisationen vermeldet.
Auch mit der Darfur-Krise im Zusammenhang steht ein fehlgeschlagener Putschversuch gegen Déby im Mai 2004, der aus dem engeren Kreis seiner eigenen Ethnie heraus, den Zaghawa, durchgeführt wurde. Interne Konflikte um die Verfassungsänderung und damit auch um die Nachfolgeregelung des Präsidenten spielten dabei ebenso eine Rolle. Trotz verstärkten Widerstands aus den eigenen Reihen wollte Déby damals seinen Sohn als Nachfolger aufbauen, der jedoch aus nicht geklärten Gründen im Juli 2007 in Paris ums Leben kam. Im April 2006 kam es zum Angriff einer Rebellengruppe auf N’Djaména, der aber von der Regierung und unter Mithilfe der französischen Armee zurückgeschlagen wurde. All diese Faktoren zusammengenommen hatten zu einer Schwächung der Position Débys geführt, die durch wiederholte Angriffe von außen und innen in den Folgejahren immer wieder in Frage gestellt wurde.
Flüchtlingskrise
Der seit dem Jahr 2003 andauernde Konflikt in Darfur hat ca. 300.000 Menschen aus dem Westen des Sudan auf der Suche nach Sicherheit über die Grenze in den Tschad fliehen lassen. Trotz diplomatischer Bemühungen und politischem Druck seitens der UN und AU sowie einzelner Regierungen hat sich die Sicherheitslage in Darfur bisher nicht wesentlich verbessert. Beim UNHCR finden sich viele detaillierte Statistiken und Übersichtskarten zur aktuellen Situation in der Flüchtlingsregion.
Eufor/MINURCAT: Die Entsendung von internationalen Friedenstruppen und der 2008 eingesetzten Eufor-Friedenstruppe gestaltete sich sehr schwierig. Die Eufor-Überbrückungsmission wurde Mitte März 2009 an die UNO-Mission MINURCAT übergeben, die im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik zum Schutz von Zivilisten, insbesondere Flüchtlingen und zur Friedenssicherung beitragen sollte. Anfang 2010 hat sich Präsident Déby gegen eine Mandatsverlängerung der MINURCAT-Mission ausgesprochen. Der Abzug, der Ende 2010 durchgeführt wurde, wurde von vielen Seiten als äußerst problematisch für die Sicherheitslage und die Entwicklung des Landes gewertet.
Die Versorgung der über eine Million Binnenvertriebenen (IDPs) im Sudan und 90.000 (Ende 2018) Binnenvertriebenen im Tschad in 38 Camps durch UN- und Hilfsorganisationen ist nach wie vor stark beeinträchtigt.
In der Region Ouaddai/ Biltine (Osttschad) werden seit Jahren 12 Flüchtlingscamps unterhalten. Die meisten der Flüchtlinge sind Frauen und Kinder. Die Lage hatte sich für sie bezüglich der Grundversorgung einigermaßen stabilisiert, jedoch lässt die Spendenbereitschaft seit Jahren nach und der Darfurkonflikt reiht sich ein in die vielen vergessenen Konflikte, was dazu führt, dass Ressourcen und Versorgung nicht gewährleistet werden können. Es besteht gerade in den sensiblen Bereichen der Ressourcennutzung von Wasser, Holz, Acker- und Weideland noch weiterer Handlungsbedarf, um Konflikte zwischen lokaler Bevölkerung und Flüchtlingen zu vermindern.
Binnenflüchtlingen, die in den letzten Jahren wieder versuchen in ihre Dörfer zurückzukehren, droht Gewalt, Zwangsrekrutierung und erneute Vertreibung, wie ein Human Rights Watch-Bericht dokumentiert.
Von Juni 2005 bis heute finden auch im Süden des Tschad größere Flüchtlingsbewegungen aufgrund der unsicheren Lage im Norden der Zentralafrikanischen Republik statt. Bei dieser Krise im Schatten der Darfur-Krise sind bisher fast 100.000 Menschen über die Grenze geflüchtet, die jetzt in verschiedenen Camps entlang der Grenze untergebracht sind. Eine neue große Flüchtlingswelle erlebt das Land seit Anfang 2013 im Zuge des Putsches in der Zentralafrikanischen Republik und interethnischen Auseinandersetzungen in Darfur im Grenzgebiet zum Südosten des Tschad, die sich bis 2015 zuspitzte. Seit Ende 2014 verstärkt sich auch das Flüchtlingsaufkommen aus Nigeria, da viele vor der Gewalt von Boko Haram in den Tschad flüchten.
Das Land im regionalen und internationalen Kontext
Mali: Tschadische Truppen unterstützen seit Februar 2013 (MINUSMA) die französischen und malischen Einheiten bei der Sicherung Nordmalis nach dem Rückzug der Islamisten.
Sudan: Die Beziehungen zum östlichen Nachbarn Sudan sind sehr komplex und haben sich in den letzten Jahren vor allem durch die Krise und die Flüchtlingsströme aus dem Darfur erheblich verkompliziert. Schon seit dem Bestehen der Republik wurde das Gebiet des westlichen Sudan zum Rückzugs- und Aufrüstungsstandort für Rebellen und Bewegungen, die sich gegen das herrschende Regime im Tschad stellten. Auch Déby hatte sich vor seiner Machtübernahme 1990 im Sudan Unterstützung geholt und von dort aus seine Offensiven gestartet. Deshalb hat sich Idriss Déby zu Anfang der Darfur-Krise auch lange mit Kritik an al-Bashir zurückgehalten und versuchte sich sogar als Vermittler, obwohl von der Krise auch seine eigenen Clanmitglieder betroffen waren und sind (die Zaghawa, die Ethnie des Präsidenten siedelt grenzübergreifend im Tschad und Sudan). Als der Druck auf Déby zu groß wurde und er damit begann, die Rebellen zu unterstützen, die gegen das sudanesische Zentralregime agierten, kam es vermehrt zu Spannungen zwischen beidenRe gierungen. Es folgten gegenseitige Vorwürfe, verschiedene Rebellengruppen im jeweils anderen Land zu unterstützen. Dies hatte zur Folge, dass die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern 2006 und auch in den Folgejahren abgebrochen wurden (z.Zt. bestehen wieder diplomatische Beziehungen). Etliche Friedensverträge und auch ebenso viele Brüche von Verträgen und Vereinbarungen beider Seiten gingen dem voraus.
Der letzte Friedensvertrag Anfang Mai 2009 in Doha geriet durch anschließende intensive Kampfhandlungen zwischen tschadischen Regierungstruppen und vom Sudan unterstützten Rebellengruppen zur Farce. Seit Oktober 2009 gab es wieder Annäherungen zwischen den beiden Staaten und inzwischen ist eine Normalisierung der Beziehungen eingetreten. Wie sich der Sturz El- Bashirs 2019 auf die Beziehungen der beiden Staaten auswirken wird, bleibt noch abzuwarten.
Die Instabilität der Darfur-Region und auch anderer Nachbarn, wie etwa der Zentralafrikanischen Republik, Libyens und Nigerias birgt die Gefahr der Destabilisierung der gesamten Region.
Libyen: Die Beziehungen zu Libyen sind für den Tschad durch die Jahrhunderte alten ethnischen, religiösen und Handelsverbindungen schon immer sehr wichtig gewesen. Konflikte mit dem Anrainerstaat im Norden ergaben sich seit 1976 aufgrund von Territorialansprüchen seitens Libyens Oberst Gaddhafi, insbesondere um den Aouzou-Streifen im Norden des Tschad. Diese Auseinandersetzungen wurden erst 1994 durch eine Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs endgültig beigelegt.
Der Aufstand in Libyen seit Anfang 2011 und der darauf folgende Zerfall des Staates hat direkte Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Flüchtlingslage im Tschad. Anfang Januar 2017 wurde die Grenze zu Libyen zum Schutz vor islamistischen Terroristen und Milizen geschlossen.
Nigeria: Die Beziehungen zu Nigeria sind überwiegend von wirtschaftlichem Interesse der beiden Staaten geprägt. In den Bürgerkriegswirren der 70er und 80er Jahre hat sich Nigeria als Vermittler und Sponsor von Gesprächen zwischen den rivalisierenden Fraktionen hervorgetan. In den 80ern wurden die diplomatischen Beziehungen intensiviert und bilaterale Handelsabkommen geschlossen. Bis heute ist der Export von Lebendvieh und getrocknetem Fisch und der Import von verarbeiteten Waren (Plastik) für den Tschad von großer Bedeutung. Allerdings sind die Exportbeziehungen seit den Auseinandersetzungen mit Boko Haram enorm zurückgegangen. Hinzu kommt der informelle Warenfluss zwischen den beiden Ländern, der immer noch beträchtlich ist.
Frankreich: Als ehemalige Kolonialmacht unterhält Frankreich – auch unter der Präsidentschaft von Hissène Habré – bis heute enge Verbindungen zum Tschad. Der Tschad wiederum sieht in Frankreich seinen Hauptverbündeten auf der internationalen Bühne. Das französische Militär unterhält in der Nähe von N’Djaména eine seiner größten Basen in Afrika und war in der gesamten Geschichte der Republik immer wieder mit militärischen Aktionen in die Geschicke des Landes involviert. Frankreich hat in den vergangenen Jahren wiederholt zum Erhalt der Regierung Déby beigetragen und bei den Rebellenangriffen 2006 und 2008 durch logistische Unterstützung entscheidend zum Sieg der Regierungstruppen beigetragen.
USA: Die Beziehungen zwischen den USA und dem Tschad wurden erst in den 80er Jahren intensiviert, als sich eine regionale Destabilisierung durch die libyschen Expansionsbestrebungen abzeichnete. Diesen wurde versucht, durch das Protegieren von Exdiktator Habré entgegenzuwirken. Heute sind die Interessen der USA überwiegend strategischer Natur. Dabei geht es hauptsächlich um die Sicherung der Erdölförderung, um Terrorismusbekämpfung (Pan-Sahel-Initiative) und Trans- Sahara Counterterrorism Initiative (TSCTI) und die Rolle des Tschad im Zusammenhang mit dem Konflikt im Darfur. Nichtsdestotrotz landete der Tschad 2017 auf der Reisebeschränkungsliste der USA.
China: Seit einigen Jahren ist ein wachsender chinesischer Einfluss in der Region zu beobachten. Déby hat im August 2006 die Beziehungen mit China wieder aufgenommen, nachdem er die Verbindungen mit Taiwan rigoros abgebrochen hatte. Anfang 2007 hat die chinesische CNPC (China National Petroleum Corporation) die Erdölkonzessionen der kanadischen EnCana im Osten des Landes übernommen. Die Konkurrenz zwischen westlichen Förderunternehmen und China um den Zugang zu Erdöl nimmt damit zu. 2010 wurde nach intensiven Gesprächen ein Abkommen über bilaterale Handelsbeziehungen geschlossen.
Der Tschad ist u.a. Mitglied von internationalen Organisationen, wie etwa der UN, der Afrikanischen Union und des IWF.
Deutschland: Als erstes Land nach Frankreich nahm Deutschland 1960 diplomatische Beziehungen zum Tschad auf. Durch jahrzehntelange entwicklungspolitische Zusammenarbeit genießt Deutschland im Tschad ein hohes Ansehen. Seit 2007 ist Deutschland im Rahmen der EU als Teil einer internationalen Beobachtergruppe an der Bildung eines politischen Abkommens zwischen Regierung und Opposition beteiligt, das den demokratischen Dialog stärken und die Wahlgesetzgebung neu regeln soll. 2011/2012 ist die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit dem Tschad ausgelaufen.
Die Urheberin Brigitte Salzberger, Ethnologin (MA), geb. 1967 lebt und arbeitet in Rheinland-Pfalz. Ich habe Frau Salzberger per E-Mail kontaktiert. Im Vorfeld habe ich die Übernahme der Inhalte mit der GIZ besprochen. Das Länderportal ist im Juli 2021 abgeschaltet worden und wurde bis dahin aktualisiert.